Anker-Technik
19. November 2011Bericht über das Seminar „Reiten im Kopf® – Mentaltraining für Trainer & Reiter“
18. Januar 2012Entspannung
Atmung
„Das Gehirn funktioniert von Geburt an. Vom Aufstehen bis zu dem Moment, wo man eine Rede hält“ sagte Mark Twain, der den Nagel auf den Kopf trifft. Ruft der Lehrer seinem Schüler, der auf dem Pferderücken in einer Notsituation steckt, zu: „Atme, atme ruhig durch!“, dann wird dieser kaum in der Lage sein, den gut gemeinten Rat zu befolgen. Sein Angstzustand blockiert das Gehirn. In solchen Momenten wird sich der Reitschüler auch nicht an eine Atemübung erinnern können. Aus diesem Grund: Streben Sie einen natürlichen Atemfluss an, den Sie durch angelernte körperliche Übungen automatisieren können. Vorgänge wie tiefes und richtiges Ein- und Ausatmen zu Pferd können – wenn bewusst und regelmäßig geübt – auch in Notsituationen hervorgerufen werden.
Pferde sind sensibel und reagieren sehr stark auf die Atmung des Menschen, die nicht nur die Psyche, sondern auch den Gesundheitszustand der Person beeinflusst. Im Ruhezustand ist das Zwerchfell nach oben gewölbt. Beim Atmen entsteht eine mechanische Wechselwirkung, die Durchblutung, Sauerstoffversorgung und Verdauung fördert. Auch Wirbel, Rumpf, Muskulatur und Becken, also die gesamte Körperhaltung, werden von der Atmung verändert. Ein aufrecht gehender, selbstsicherer Mann atmet wahrscheinlich gleichmäßiger und tiefer als ein unsicherer mit gebückter Körperhaltung. Durch Stress und Angst ist die natürliche Atembewegung bei vielen Menschen gestört. Wer Angst hat, schnappt nach Luft und „erstarrt“. „Mir stockt der Atem“ ist immer ein Synonym für Erstarrung. Und die brauchen wir auf dem sich bewegenden Pferd nicht.
Täglich praktizierte Übungen können Ihre Atmung in einen natürlichen Rhythmus bringen. Einmal automatisiert sind sie auch in beängstigenden Situationen abrufbar:
- Setzen Sie sich auf ein Pferd und beugen Sie langsam Ihren Kopf nach vorne, lassen Sie ihn auf ihre Brust sinken. Ihre Fersen dehnen Sie nach unten. Führen Sie beide Übungen in einem Wechselspiel von An- und Entspannung durch.
- Stellen Sie sich neben das Pferd: Streicheln Sie es und nehmen sie seine Formen wahr. Achten Sie auch ruhig mal auf die Atmung ihres Pferdes, wie sich sein hinterer Bauchteil auf- und ab bewegt. Für ängstliche Reiter ist die Kontaktaufnahme mit dem Tier sehr wichtig. Berühren und beobachten Sie ihr Pferd häufig, schulen Sie dadurch Ihre Hände. Gewohnheit nimmt Angst.
- Weniger Furcht durch Pfeifen und Singen: Nicht das Pfeifen an sich nimmt Ihnen das ungute Gefühl, sondern die Tatsache, dass sie dadurch weiter atmen und Ihre Ausatmung sogar verlängert. Und Sie lenken sich selbst ab, indem Sie sich auf etwas anderes, nämlich das Singen konzentrieren.
Ein sensibles Pferd reagiert auf stockenden oder anhaltenden Atem des Reiters. Ein Pfeifen, Sprechen oder Singen, welches das Zwerchfell zudem in Bewegung hält, verhindert das. - Schütteln Sie Arme und Beine im Stand aus. Legen Sie eine Hand auf Ihren Bauch und spüren Sie, wie sich Ihre Bauchdecke hebt und senkt. Machen Sie sich bewusst, wie Ihr Körper funktioniert und reagiert (Bauchatmung).
- Summen Sie etwa fünf Minuten lang, es lockert das Zwerchfell.
- Stellen Sie sich hin, bleiben Sie im Becken locker und wippen Sie auf den Zehenspitzen. Versuchen Sie nicht verkrampft, die richtige Atmung zu finden, denn diese wird sich durch die Bewegung ganz von alleine einstellen.
- Setzen Sie sich entspannt hin und streichen Sie sich mit ihren Handflächen über Arme, unteren Rücken, Bauch, Brust. Beugen Sie sich vor, um auch Waden und Beine auszustreichen.
- Der Tennisspieler stößt einen Schrei aus, während er mit seinem Schläger den Ball berührt. Viele Kampfsportler stoßen vor dem Angriff die Luft in Form eines Schreis aus – damit setzen Sie blitzartig Energie und Kraft frei. Auch bei Bauarbeitern kann man diese verbale Kraftunterstützung beobachten. Die meisten Reiter halten jedoch schon beim Aufsteigen den Atem an. Ein lautes Ausatmen kann Ihnen beim Anschieben der Mistkarre, Satteln, Aufsteigen oder beim Parcoursaufbau den extra Schwung geben. Sie können sich ein Wort, zum Beispiel „Schuhh“, zur Hilfe nehmen. Ist es Ihnen aber peinlich, laut auszurufen, kann auch ein leiser Ton unterstützend wirken. Sie werden sich nicht mehr mit bloßer Muskelkraft, sondern mit Hilfe der Atemkraft in den Sattel schwingen.
- Bewusstes Ausatmen nutzen: Konzentrieren Sie sich nicht immer aufs Einatmen, sondern aufs bewusste Ausatmen. Die Wechselwirkung sorgt automatisch dafür, dass sie einatmen. Atmen Sie rasch aus, so setzen Sie die Spannung schnell wieder frei. Bewusstes Austamen löst vorhandene Spannungen.
Mit einem ruckartigen Ausstoßen der Atemluft können Sie auch Ihr Pferd blitzschnell anhalten.
Achten Sie auf Ihren Körper und üben Sie schon in leicht angespannten Situationen durch Dehnung der Füße, des Nackens oder durch bloßes Wahrnehmen Ihres Körpers oder des Pferdes, sich zu entspannen. Regelmäßig praktiziert und dadurch automatisiert, ist dieser Vorgang in einer Angstsituation hilfreich.Oberstes Gebot ist Dehnung: Nehmen Sie im Stehen den rechten Arm ganz nach oben und zeigen sie mit diesem über Ihren Kopf nach links. Es ist eine physiologische Gesetzmäßigkeit, dass Dehnen eine tiefe Atmung bringt. Auch im Yoga wird dieses Wissen genutzt.
Quelle: Antje Heimsoeth. Mental-Training für Reiter. Müller Rüschlikon Verlag 2008.